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Schönheit.

Andrés Orozco-Estrada dirigiert
© Matthias Wagner

Von Matthias Wagner

Kulinarische Kunstmetaphern soll man tunlichst vermeiden.

Aber. Wenn Musik der Seele Nahrung ist, dann ist Maestro Orozco-Estrada der Koch aller Köche. Seine einzige Zutat heute: Beethoven. Nämlich die „Sinfonia Pastorale“, dieses mäandernde, murmelnde, zwitschernde, tanzende, krachende, bebende, betende, atmende Wunderwerk für Orchester. Reicher, tiefer, substanzvoller ist musikalische Schönheit nie geschaffen worden, inspiriert durch die Schilderung der Natur und des Lebens auf dem Lande. Eine klingende Sommerfrische sozusagen.

VON LETZTEN HEMDEN

Eine Reise in die innere Natur, in den inneren Kosmos des Menschen hat Andrés Orozco-Estrada angekündigt. Ob es Beethoven so gemeint habe, wisse er nicht. Nun, das ist unser Schicksal beim Nachschöpfen unvergänglicher Kunst. Wir haben nur die Noten, ein paar Tagebücher und Briefe, und Berge an Sekundärmeinungen. Was zählt, ist auf der Bühne. Dieser Moment, in dem sich die Magie herbeibequemt – oder eben nicht.

Dreimal pro Abend das gleiche Stück zu spielen, das verlangt den Musiker*innen alles ab. Klar, sie können das Stück, prinzipiell sogar mit jeder Aufführung noch ein bisschen besser. Aber wer auf eine Bühne steigt, möchte sein letztes Hemd geben. Die Frage angesichts dieses sechsfachen „Graz-Marathons“, wie der Maestro das Abenteuer nennt, lautet daher: Wie viele letzte Hemden hat unser Festspiel-Orchester?

styriarte-Festspielorchester
© Matthias Wagner

BEETHOVEN, SCHAU OWA

Sechs, ist die korrekte Antwort. Und zwar deshalb, weil Beethoven anwesend ist an diesen beiden Tagen. Und miterlebt, wie Andrés Orozco-Estrada, dieser feurige Charmeur, Orchester und Publikum um den Finger wickelt, wie er geistige Frische sät und offene Herzen erntet. Er stellt es den Gästen zur Wahl, ob sie das berühmte Eingangsthema mit oder ohne Ritardando hören wollen. Er zeigt uns, wo im Orchester während der „Szene am Bach“ das Wasser murmelt, und lädt uns ein, beim Bauerntanz im dritten Satz mitzustampfen, dass die Tribünen wackeln. Dann summt uns das Orchester noch einen „Choral“ aus dem letzten Satz vor, in unwirklichem ppp. Es ist der Chor der Dankbarkeit, erklärt der Dirigent, „Dankbarkeit, dass wir wieder spielen dürfen; Dankbarkeit, dass es so wundervolle Musik gibt.“ „Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“, heißt das in Beethovens Satzbezeichnung. Nach einem Gewittersturm, mit solchem Furor entfesselt, dass das Dach weggeflogen ist, rein metaphorisch.

 Andrés Orozco-Estrada moderiert, hinter ihm das styriarte Festspiel-Orchester
© Matthias Wagner

Nach den ersten drei Marathons treffen wir die Musiker*innen hinter der Bühne, todmüde, aber mit leuchtenden Gesichtern, und einen Maestro, der beschreibt, wie er das Tempo tatsächlich angezogen hat bei der dritten Aufführung, um sein Orchester in Spannung zu halten. Wie glücklich er ist über die Homogenität der Streicher, und darüber, wie das Publikum auf seine herzhaften Späße reagiert. Dass er diese Späße auch macht, um die Nerven seiner Musici zu streicheln, insbesondere der Hornisten, die mit ihren Naturinstrumenten immer ein bisschen Beistand von Oben brauchen. Schönheit finden wir nur am Rande des Scheiterns, hat Harnoncourt gesagt. Wir haben sie gefunden.

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