Alt und neu und auch gemischt
share on facebookOrchesterinstrumente im Hause styriarte
Mindestens 300 Jahre Musikgeschichte überspannt das Repertoire unserer beiden Klangkörper recreationBAROCK und recreation – GROSSES ORCHESTER GRAZ. Weil jede Epoche vom Barock bis zur Moderne ihren ganz eigenen Klang hat, ist die Wahl der jeweils richtigen Instrumente entscheidend, das haben wir nicht zuletzt von Weltpionier Nikolaus Harnoncourt gelernt. Intendant Mathis Huber erzählt im Video, worauf es beim Einsatz historischer Instrumente ankommt. Dazu schauen wir uns drei konkrete Beispiele aus unserer unmittelbaren Streaming-Gegenwart an.
Der Unterschied macht Spaß
Um die Frage eines Livechat-Gasts unserer jüngsten Stream-Premiere zu beantworten, gibt der Intendant einen Einblick in die Besetzungsphilosophie bei recreation. Zwischen dem Barockensemble und dem großen romantischen Orchester gibt es viel Spielraum für allerhand Mischformen, erfahren wir – und dass die Welt der Originalklänge auch für gestandene Musiker*innen noch jede Menge Abenteuer bereithält.
Es gibt kein Dogma
Das Haus styriarte hatte das Glück, rund 30 Jahre lang mit dem weltgrößten Experten auf diesem Gebiet zusammenzuarbeiten, mit Nikolaus Harnoncourt. Eine seiner wichtigsten Botschaften war, dass der Umgang mit Musik niemals dogmatisch sein soll – auch nicht, was die Verwendung historischer Instrumente betrifft: „Da hat die Generation nach mir die Dogmen aufgestellt. Bei mir gab’s das nicht. Ich hab gesagt, das Instrument ist nur ein Werkzeug. Ich kann mit den alten Instrumenten um so viel näher an die Substanz des Werkes herangehen, sodass der heutige Mensch es begreift, dass das Werk dadurch sogar heutiger wird. Aber wenn das nicht geklappt hat, waren alte Instrumente nicht interessant für mich. […] Für mich geht es nur um die Inhalte.“ (Die Zeit, 5/2008)
Das klingt ein bisschen kokett, wenn man bedenkt, dass Harnoncourt in den Anfangsjahren seines Concentus Musicus auf Dachböden kletterte, um uralte, verstaubte Instrumente zu bergen. Dass er einmal, als in Wien zwei historische Trompeten versteigert wurden, seine Frau Alice gemeinsam mit einem russischen „Doppelagenten“ zur Auktion schickte, um die Konkurrenz auszustechen (Das Buch mit dieser köstlichen Episode gibt’s hier zum Kauf). Schon klar, es ging ihm nur um Inhalte. Aber es war nicht zuletzt diese wundervolle Obsession, die Nikolaus Harnoncourt zum epochalen Pionier der historisch informierten Aufführungspraxis machte.
Sound I: Bach
Starten wir unsere kleine Besetzungs-Trilogie mit Barockmusik. Die Streichinstrumente waren damals wesentlich leiser, ihr Klang schärfer und obertonreicher. Darmsaiten (statt Stahlsaiten) und leichtere Bögen sorgten für eine „luftigere“ Tongebung, die den Streicherklang insgesamt transparenter machte.
Und auch bei den Bläsern war alles anders als heute, wie Harnoncourt erklärt: „Die Veränderungen an den Holzblasinstrumenten fallen sofort ins Auge, die heutigen haben viel mehr Klappen und andere mechanische Spielhilfen. Während man die verschiedenen Klangfarben der auf den klappenlosen Instrumenten durch Gabelgriffe hervorgebrachten Halbtöne besonders schätzte – auch die Tonarten bekamen dadurch eine deutliche Charakterisierung -, erstrebte man seit dem 19. Jahrhundert eine möglichst glatte chromatische Skala und ein Maximum an Dynamik. Die Hörner und Trompeten waren bis ins 19. Jahrhundert reine Naturinstrumente, das heißt, man konnte auf ihnen nur die Obertöne des Grundtones hervorbringen. Später fügte man Ventile hinzu, mit deren Hilfe man alle zwischen den Naturtönen liegenden chromatischen Töne spielen konnte. Die damit verbundene radikale Veränderung sowohl der Mensuren, das heißt des Verhältnisses zwischen Rohrlänge und Querschnitt, als auch der strengen tonartlichen Fixierung jedes Instruments veränderte natürlich auch deren Klangcharakter gründlich.“ (Ebenfalls hier nachzulesen)
Sechs Wochen ist unser großartiges Weihnachtskonzert mit Jordi Savall nun her. In der Stream-Aufzeichnung hört man geradezu exemplarisch, wie ein nach allen Regeln der Kunst bestücktes Barockensemble (inklusive großartiger Sänger*innen) klingen kann:
Orchestermanagerin Gertraud Heigl hat für uns die genaue Liste der verwendeten Instrumente ausgehoben:
Barockbesetzung: Streicher mit Darmsaiten und Barockbögen, 2 Traversflöten, Barockoboen, Oboe d’amore und Oboe da caccia, Barockfagott, 3 Naturtrompeten, Orgelpositiv und Cembalo, Naturfellpauken.
Sound II: Haydn
Bei Aufführungen der Wiener Klassik plädierte Harnoncourt für einen differenzierten Zugang. Zwar klängen Instrumente der Mozart-Zeit anders als moderne Instrumente, aber ein reines Spezialist*innen-Ensemble auf historisch korrekten Instrumenten sei deshalb nicht unbedingt anzustreben. „Was wäre damit gewonnen? (…) könnte es dann nicht sein, dass der Gewinn an Klangentsprechung und -vermischung aufgehoben wird dadurch, dass der Hörer diesen Klangeindruck als sensationellen Vordergrund empfindet, also zu wenig auf die Musik achtet?“ Dennoch sei die Kenntnis der Originalinstrumente eine wichtige Inspiration: „Man kann viele Farben und Spielarten dann durchaus entdecken und beleben, was den Interpreten große Freude macht, da sie sehen, wie viel polycolorer ihre Instrumente sind.“
Besonders beim Thema Streicherbögen warnte Harnoncourt vor einem Missverständnis. Zu Mozarts (und Haydns) Zeiten sei der moderne, schwerere Bogen schon entwickelt. „Ich muss warnen davor, einen alten Bogen zu nehmen und das bereits als Authentizitäts-Beweis anzusehen.“ Wirklich essenziell ist laut Harnoncourt allerdings der Einsatz historisch passender Blechblasinstrumente: „Naturhörner und -trompeten sind durch die heutigen Instrumente nicht adäquat ersetzbar.“ (Interview mit Opernwelt, 1981)
Diesem Umstand tragen wir in unser brandaktuellen Streaming-Produktion mit Haydns Pariser Sinfonien unter Stefan Gottfrieds Leitung Rechnung, wie Mathis Huber im Video weiter oben erklärt. Recreation musiziert zwar teilweise mit modernen Instrumenten, aber das Blech ist mit den älteren und deutlich leiseren „Natur“-Varianten besetzt, um auch im Schmettern den Rest des Orchesters nicht zu übertönen. Das Ergebnis ist fantastisch, wie wir finden – klanglich und filmisch:
Mischbesetzung: Streicher mit (großteils) Darmsaiten und klassischen Bögen, Metallflöte mit Holzkopf, 2 Wiener Oboen, 2 moderne Fagotte, 2 Naturhörner und Naturtrompeten, Naturfellpauken.
Teil zwei der Pariser Sinfonien feiert bekanntlich am kommenden Sonntag (7.2.) Premiere – zu finden im styriarte YouTube-Kanal.
Sound III: Rimski-Korsakow & Rachmaninow
Kommen wir zum „modernen“ Orchesterklang, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist – und dessen Instrumentarium bis zur Harnoncourt’schen Revolution vor 70 Jahren eben auch für barocke und klassische Musik verwendet wurde. Anders als Bach, Haydn oder Beethoven haben die Komponisten der Spätromantik ihre Werke für genau diese Besetzung geschrieben. Ein dichter, warmer Streicherklang (über Vibrato und Sostenuto ein andermal mehr) füllt den Saal bis in den letzten Winkel; moderne Bläser und ein großes Schlagwerk setzen sich dennoch mit Leichtigkeit durch. Unsere Erste Gastdirigentin Mei-Ann Chen ist gerade auch jetzt in Graz, um diesen schwelgerischen, farbenreichen, gewaltigen Sound mit Werken von Mussorgsky und Ravel einmal mehr zu zelebrieren. Die letzte Aufnahme mit der Maestra ist uns noch traumhaft in Erinnerung – und gerade erst einen Lockdown alt:
Moderne Besetzung: Streicher mit Stahlsaiten und modernen Bögen, 2 Flöten & Piccolo, 2 französische Oboen, 2 Klarinetten (deutsches System), 2 moderne Fagotte, 4 moderne Doppelhörner bzw. Ventilhörner, 2 moderne Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Schlagwerk mit modernen Kesselpauken.