Wenn es Lebensfreude regnet
share on facebook REVIEW: Fux, du hast den Tanz gestohlenStreng, milde, freundlich, jeder nach seiner Art. So blicken sie herunter in den Stefaniensaal, auf die neuen, schwarzen Sesselreihen mit dem 120-Zentimeter-Corona-Respektabstand. Händel, Mozart, Brahms – und wie sie alle heißen, die deutschsprachigen Götter im Musikolymp. Aber einer fehlt, sagt unser Intendant Mathis Huber zur Begrüßung. Ganz links hinten, von der Bühne aus gesehen, müsste vor Gott Bach (Johann Sebastian) noch Gott Fux (Johann Joseph) sein eigenes Porträt bekommen.
Davon wird recreationBAROCK an diesem Auftaktabend zur neuen Orchestersaison auch die letzten Zweifler*innen überzeugen, wieder einmal. Auf dem Programm: Alle 16 Sätze der Serenada aus dem Concentus musico-instrumentalis, dem berühmten Opus eins des genialen Fux. Dazu die Volkstanzfantasien, die der kongeniale Sepp Pichler, Dudelsackpfeifer und Bandleader der fidelen Hirtenfelder, dem fidelen Steirerbuam aus Hirtenfeld abgeschaut hat. „Fux, du hast den Tanz gestohlen“, lautet unser Programmtitel. Irgendwie könnte es auch andersherum heißen, oder? Wobei das Stehlen nicht wörtlich zu nehmen ist. Ideen gehören niemandem, also allen.
Mit Pauken und Trompeten
Fanfarisch, mit Pauken und Trompeten im echtesten Wortsinn hebt sie an, unsere Justament-Saison unter dem Vorzeichen Corona. Sonst gibt es keine Vorzeichen, weder Kreuz noch B, schließlich sind wir im festlichen C-Dur, der Haupttonart der dreigliedrigen Serenada. Die erklang vermutlich 1699 zum ersten Mal, zur Hochzeit des späteren Kaisers Joseph I. Aber Achtung: Nichts an dieser höfischen Musik sei steif, und kaum etwas pompös, hat uns Kapellmeister Michael Hell in der Konzerteinführung erklärt. Diese Musik sei vor allem energetisch.
Und wir verstehen jetzt, was er gemeint hat, als der Eröffnungsmarsch in strahlendem Tutti anhebt, mit lebhaftem Tempo – aber, viel wichtiger: mit lebhafter Musizierfreude. Da bleibt kein Körper steif, da findet sich im Parkett kaum ein Fuß, der nicht mitwippt. Platz zum Wippen ist ja genug in der Fußfrei-Saison.
Kunstregeln, Künstlerfreiheit
Woher all die motorische Energie strömt, ist unschwer auszumachen. Es ist das Cembalo, an dem Kapellmeister Hell mit wiegendem Kopf und leuchtenden Augen das farbenprächtige Geschehen dirigiert. Wenn die barocke Etikette es vorsieht, geht er solo auf Abenteuerfahrt, performt nachdenkliche, rasende, fesselnde Mini-Dramolette. Die Regeln der Kunst, die Freiheit des Künstlers, da hören wir sie aufgehoben in rauschhafter Synthese.
Apropos Synthese. Diese Bezeichnung verdienen auch die Volkmusik-Sequenzen dieses fröhlichen Abends. Sepp Pichler hat dafür kaum bekannte Juwelen des frühen Fux (und Artverwandtes) in ein Kleid aus Folklore gehüllt, in eine visionäre Rekonstruktion jener Klangsprache, die den Steirerbuam Fux daheim in Hirtenfeld auf Schritt und Tritt begleitet haben dürfte, damals, vor 350 Jahren.
Fidel ist ein Hilfsausdruck
Obermusikant Pichler ist dem Maestro Hell ein Gegenüber auf Augenhöhe – und doch völlig anders. Stoisch ruhig wie der schwebende Bordun seines Dudelsacks leitet er seine fidelen Hirtenfelder – die schimmernde Drehleier Anna Barbara Wagners und das glitzernde Hackbrett Hugo Malis – durch eigene Bearbeitungen Fux’scher Fundstücke.
Drei Streicher von recreation stoßen als Verstärkung dazu. Sie müssen nur einen Steirerhut aufsetzen, und schon pulst Steirerblut durch Darmsaiten, Kratzbögen, Kniegelenke. Fidel ist ein Hilfsausdruck, wenn sie durch Steyrer Tänze, Bourrées, Menuette fideln, als sei kein Tag gewesen, als komme kein weiterer; wenn sie mit jodelnden Kehlen das Leben feiern – und, wie könnte es fehlen in diesen Zeiten, das Lied vom Lieben Augustin anstimmen. Ein ungarischer Tanz wird so teuflisch angedreht, dass uns die Fliehkräfte ein bisschen davonblasen.
J. Fux, lächelnd
Und Fux? Der ist anwesend, fraglos. Sein Ahnenporträt im Stefaniensaal, das nicht vorhandene, es trägt ein breites Lächeln unter der Schmalzperücke. Je länger der Abend, um so breiter. Sein Werk, das viel zu lang vergessene, es wird hier abgestaubt, mit einer Adrenalindosis ins Diesseits gebeamt, dass es pure Lebensfreude regnet.