Zärtlichkeit, Schönheit, Staunen.
share on facebookReview & Interviews:
Ein Weihnachtsfest für unsere Ohren und Herzen hat Maestro Jordi Savall mit recreationBAROCK, der Camerata Styria und vier außergewöhnlichen Solostimmen veranstaltet. Bevor wir das Ergebnis ab 24. Dezember als Musikfilm um die Welt schicken, müssen wir noch ein bisschen schwärmen. Und unsere spannenden Eindrücke von der Produktionen mit Ihnen teilen, mitsamt ein paar erhellenden Interviews.
Jauchzet! Frohlocket! Das mag anachronistisch klingen in Zeiten wie unseren. Aber es ist genau das, was wir gebraucht haben, genau jetzt. Der Mensch lebt schließlich nicht von der Mehlspeise allein, schon gar nicht zur Weihnachtszeit, schon gar nicht im Zwanzigerjahr.
„Es wäre im Moment sehr leicht, den Mut zu verlieren“, sinniert unsere Geigerin Marina Bkhiyan einmal zwischen den Proben. Dann sagt sie: „Dass wir hier trotz allem Musik machen können, gibt uns allen ein wahnsinnig positives Gefühl.“
Tutti-Lachen
Wahnsinnig positiv. So sieht es auch Maestro Jordi Savall, der es tatsächlich aus Barcelona zu uns geschafft hat in diesen Tagen. Sichtlich genießt er die Arbeit, nimmt alle Musiker*innen mit auf seine Reise durch Bachs Wunderwelt, reißt Witze. Nicht nur einmal bricht schallendes Tutti-Gelächter aus während der Proben. Darauf angesprochen, sagt Herr Savall: „Man sieht, dass die Leute viel Freude daran haben, zu musizieren und zu singen. Es ist etwas, was wir brauchen. Und uns ist bewusst, dass wir es nicht nur für uns tun, sondern auch für die anderen Menschen, die krank sind oder in Schwierigkeiten. Wir können ihnen etwas Hoffnung und Frieden bringen.“
Kirchenatmosphäre hat er gesagt. Und in der Tat: Akustisch erkennen wir „unseren“ Stefaniensaal kaum wieder in diesen Wochen. Wir haben nicht nachgemessen, wozu auch, aber die Nachhallzeit ist ohne Samtsessel und Zuhörende viel länger, verleiht der Musik zusätzliche Aura. Maestra Šlekytė hat vergangene Woche darauf reagiert, indem sie für die Suite aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“ besonders secco, also trocken artikulieren hat lassen. Jordi Savall arbeitet mit einer viel kleineren Instrumentalbesetzung – und lässt es genussvoll blühen im vielgestaltigen Klanggarten der drei Kantaten, im steten Reigen aus Rezitativen, Arien und Chören.
Perfektionismus
Dass sich der Gesamtklang so farbenfroh entfalten kann, hat sicher auch mit der speziellen Sitzordnung zu tun, die sich Meister Jordi ausgedacht hat. Das ganze Wochenende über haben unsere Techniker Matti Kruse, Christopher Wruss und Daniel Hödl in der styriarte-Werkstatt neue Podeste gezimmert, passgenau für die Stefaniensaalbühne, damit Chor, Trompeten und Pauke ihre idealen Positionen beziehen können. Es ist ein Perfektionismus, der sich auszahlt und die Künstler*innen in die Lage versetzt, bei dieser Lockdown-Session ihr Schönstes, Göttlichstes abzurufen.
Also hebt es an, mit Pauken und Trompeten, wie es sich für eine Festtagsmusik gehört. Jordi Savall, ein Maestro der noblen, sparsamen Gesten, verlässt sich in diesem Moment voll auf Janós Figula, der mit seinen ersten Paukenschlägen den Puls vorgibt, jene rhythmische Dreifaltigkeit, die viele Stücke des Abends prägen wird.
Kraftvoll öffnet Janós‘ Pauke den Klangraum für all den Trubel, der da kommen will. Die Trompeten stimmen ein, feingeschliffen, gleichsam singend im Schmettern, die beiden Streicherchöre fallen ein mit schlafwandlerisch synchronen Figurationen, die warm leuchtenden Holzbläser geben sich dem Charme der Bachschen Ornamente hin.
Das singende Volk
Und bald ist es da, das singende Volk. „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!“ jubelt der Chor, machtvoll, glasklar. Nur wenige Minuten später wird er kaum wiederzuerkennen sein, wenn er sein unwirklich weiches und sanftes „Wie soll ich dich empfangen“ anstimmt. So klingt der Himmel, wird gemunkelt.
Wochenlang hat die Camerata Styria an Nuancen gefeilt und jedes Wort dieses legendären Hit-Feuerwerks dreimal auf die Goldwaage gelegt. Wir wissen jetzt: Dieser Chor, gegründet im Jahr 2020 mit aktuellen und ehemaligen Stimmen des Landesjugendchors, ist irgendwie als Meister vom Himmel gefallen. Es sei ein unglaubliches Glück, gleich mit einer Kapazität wie Jordi Savall zusammenarbeiten zu dürfen, erzählt Chorleiter Sebastian Meixner, der auch der styriarte-Familie Rosen streut:
Und weil man sich ja sonst nichts gönnt zu Weihnachten, haben wir für diese Traumproduktion auch noch die herrlichsten Solostimmen eingeladen, die uns einfallen konnten. Maria Ladurner, deren Sopran uns erst vergangenen Sommer in Fux‘ „Geschenke der Nacht“ verzückte, hat zwar nur wenige, aber umso betörender leuchtende, in den Spitzen strahlende Auftritte. Der gülden strömende, wenn man will: lyrische Tenor von Gernot Heinrich und Markus Volperts mächtiger, eindringlich deklamierender Bass bilden ein faszinierendes Gegensatzpaar, erwecken ihre nur scheinbar abstrakten Rollen zu wirklichem Leben.
Messa di voce für das Christkind
Und dann ist da noch Raffaele Pe, dessen Altstimme unwiderstehlich emotional und expressiv durch die unmöglichsten Koloraturen turnt. Der im zweiten Teil in „Schlafe, mein Liebster“ ein Messa di voce in den Saal zaubert, das ganz und gar nicht von dieser Welt sein kann. Wir haben ihn nach der Generalprobe gefragt, wie er das anstellt.
Nun, das ist doch erstaunlich. Was uns der italienische Starsänger über die Gefühle bei Bach erklärt, über die menschliche Zeichnung seiner Figuren, kurz: die Menschlichkeit des Christkinds. Darum soll Raffaele Pe hier das letzte Wort gehören: „Bei Bach geht es um dieses neugeborene Kind. Er ist ein König, natürlich. Aber er ist wirklich auch ein Kind. Deshalb dreht sich im Weihnachtsoratorium alles um Zärtlichkeit, um die Schönheit und das Staunen.“