Von Mathis Huber
Die Coronakrise hat unsere Spielstätten, die Konzertsäle und Bühnen geschlossen. Und damit hat sie uns und unsere Branche: weitergebracht. Denn sie hat Prozesse beschleunigt, Erkenntnisse geschärft und überhaupt eine Bereitschaft erzeugt, über hundertjährige Konventionen nachzudenken.
Jetzt, wo der Kulturbetrieb des Landes noch nicht einmal mit halber Kraft fährt und nach wie vor viele Saaltüren verschlossen sind, stellt sich die Frage: Wer braucht die Kunst? Braucht wer die Kunst? Und weiter: Welche Kunst?
Meine erste Erkenntnis aus der Krise: Die klassische Musik, der heilige Gral des Bürgertums, ist mit der bürgerlichen Gesellschaft abgetreten. Ihre Töne klingen längst nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft, sondern aus einer Nische am Rand. Da weiterhin zu glauben, die Finanzierung von Sinfonieorchestern oder Opernhäusern oder anderen großen Institutionen des bürgerlichen Musiklebens sei für alle Ewigkeit eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft, erscheint somit naiv und realitätsfern.
Aus der Krise haben wir aber auch gelernt, wie sehr uns, den Musikliebhaberinnen, den Musikerinnen und den Veranstalterinnen dazwischen, dieses Wunder Klassische Musik im Lockdown gefehlt hat. Nie habe ich rührendere Zuschriften bekommen, als in den letzten Wochen, die alle zum Ausdruck brachten, welch große Bedeutung unsere Konzerte für das Gemüt, für die Seele unserer Besucherinnen haben.
Diese enorme Kraft der Töne, die (auch wenn sie nur aus der Nische wirkt) unsere Gesellschaft lebenswert machen kann, lohnt jede Anstrengung. Das ist meine innerste Überzeugung, das ist der Antrieb meines Tuns.
Aber die Kraft der Töne kann nur dann wirksam werden, wenn unsere Kunst ein Gegenüber findet. Musik in leeren Sälen, Musik um ihrer selbst willen, verhallt ohne Effekt. So gesehen, definiert sich die Macht der Kunst über den Markt. Will sie niemand hören, hat sie keine Macht. Will sie niemand hören, braucht sie wohl auch niemand. Und warum sollte man etwas, was niemand braucht, finanzieren? Wie auch immer: In meiner Welt entscheiden die Konsumentinnen über den Stellenwert der Kunst. Es sei denn, die Gesellschaft befände, dass die Kunst selbst ohne Publikum einen so hohen Wert für die Gesellschaft als Ganzes hat, dass wir sie uns leisten wollen. Nur damit sie sei, nur damit Künstlerinnen sie machen können.
In meiner Welt sehe ich es eher so, dass wir als Veranstalterinnen gefordert sind, unser Produkt so attraktiv zu gestalten, mit so viel Mehrwert zu versehen, so verständlich und zugänglich für alle Gesellschafts- und Bildungsschichten zu machen, dass man es braucht. Ja, dass die Gesellschaft es von uns fordert. Ich sehe meine Rolle nicht darin, die öffentliche Hand grundsätzlich und in alle Ewigkeit als zuständig für unsere Ausfälle und Abgänge zu sehen, ich sehe unsere Aufgabe viel mehr und viel realistischer darin, als Bühnenbauer, als Gestalter, als Bewerber eines genialen Genres die Welt der klassischen Musik so klug und attraktiv zu präsentieren, dass das Publikum sagt: Das will ich haben! Da muss ich hin! Das macht mich glücklich!
Und das erreichen wir nicht mit einer bürokratisierten Kunstverwaltung, mit Tarifregelungen, Kollektivverträgen und Jammern über angeblich verpatzte Kulturpolitik. Gerne nehmen wir immer so viel öffentliches Geld wie möglich, schließlich leisten wir ja auch noch nebenbei allerhand Umwegrentables, für die Standortqualität und so weiter und so fort. Aber vor allem wollen wir als Veranstalterinnen Freiräume und flexible Rahmenbedingungen, in denen wir unsere Kreativität fließen lassen können, um Künstlerinnen und Publikum zusammenzubringen. So oft und so intensiv wie möglich.