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Ein Fest für Greta

Kleines Mädchen auf einem Esel
© Nikola Milatovic

Palmsonntagsspiel - mit einem echten Esel

Von Matthias Wagner

For Future! Ein ganzes Jahr Aufschub hat unser PSALM-Thema überstanden, ohne einen Hauch an Aktualität zu verlieren.

Wir sind uns nicht sicher, ob uns das freuen soll, weil es ja auch bedeutet, dass der Klimawandel ungebrochen fortschreitet. Aber wir haben das Beste daraus gemacht, indem wir heuer – wie versprochen – das komplette Programm gespielt und zu unseren Freund*innen nach Hause gesendet haben. 8100 Zuseher*innen haben uns beehrt, an sieben Abenden. Und da war keiner wie der andere.

DAS RITUAL

Es begann mit sehr, sehr alter Musik. Warm und sanft und mächtig umfingen uns die jungen Stimmen des Hib.art.chores, verteilt in den Weiten der leeren Helmut List Halle. In trautester Eintracht mit Vladimir Ivanoffs Ensemble Sarband (das vor 18 Jahren mit ähnlichem Programm den allerersten PSALM eröffnet hat) gaben sie ein mittelalterliches Palmsonntagsspiel, das kein Herz unberührt ließ. Sogar der Esel sang mit, im Duett mit dem Kuhhorn von Miriam Andersén – worüber die sich sehr freute:

BESEELTE NATUR

Tief hinein in die Natur, um deren „Future“ sich unser Festival gedreht hat, entführten uns Miriam Andersén und ihre Freund*innen am zweiten Abend. Pure Magie war das, ein Ritual über den ewigen Frühling, die Wiederkehr des Lichts und des Lebens. Die Zauberfee aus Schweden zog uns in ihren Bann, einsam trommelnd, im Dialog mit den Dämonen, mit entrückten Weisen und fröhlichen Tänzen, unendlich fein umsponnen von ihren Gespielinnen Susanne Ansorg und Anna Rynefors. Und mit einem starken Gegenüber: Peter Rabanser, der die nordischen Wald- und Wiesen- und Wasserperspektiven um jauchzende oder auch tieftraurige Alpenlieder bereicherte.

Miguel Herz-Kestranek mit buch an einem tisch, blickt in die Kamera
© Nikola Milatovic

Miguel Herz-Kestranek

Diamond Trio
© Nikola Milatovic

Diamond Trio

BESEELTER LEHM

So erlebten wir Musik in ihrer ureigensten Rolle: als magische Mittlerin zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Natur. Wie gerne Ersterer vergisst, dass er Teil der Letzteren ist, daran erinnerte uns am nächsten Tag Miguel Herz-Kestranek. Er las aus Primo Levis Erzählung „Der Knecht“ – einer packenden Version der jüdischen Legende vom Golem, jener beseelten Lehmfigur, die uns vor Augen hält, dass wir uns vielleicht nicht zu Schöpfer*innen neuen Lebens eignen. Keine Musik hätte diesen uralten und zeitlosen Stoff schöner umhüllen können als die Klezmerfantasien des Zeitgenossen Yuri Povolotsky. Und der wiederum könnte sich keine besseren Interpret*innen wünschen als die brillanten Klarinettenzwillinge Alexander und Daniel Gurfinkel, die uns im Diamond Trio mit Pianistin Silvia Patru beehrten.

Rosi Degen in einer BMW Isetta
© Nikola Milatovic

Rosi Degen verkörperte in Monologen von Thomas Höft eine fiktive Frauenfigur aus der Wirtschaftswunderzeit

Linde Härtel singt
© Nikola Milatovic

Drei Gnadenlose: Eddie Luis, Linde Härtel & Milos Milojevic

ISETTA

Die Geister, die wir riefen, trafen wir am Donnerstag in ganz anderer, unbeschwerter Stimmung an. Da verwandelten Eddie Luis und seine Gnadenlosen unsere Wohn/Office/Schlafzimmer eine Stunde lang in Tanzsäle, indem sie das Schlagerglück der Wirtschaftswunderjahre zelebrierten. Virtuos, bunt, makellos und unwirklich leicht tat diese Musik genau das, wofür sie einst erdacht wurde: Sie ließ uns alle Sorgen vergessen. Stargast auf vier Rädern: Isetta – wunderhübsches Sinnbild der verheerenden Segnungen des Konsumzeitalters. Stylischer lässt sich die Ambivalenz des Lebens kaum einfangen, denken wir. Unbedingter Lesetipp: die tief persönliche Programmidee unseres Dramaturgen Thomas Höft im BLOG.

2 MÜTTER

Durchaus markant fiel der Stimmungswechsel zum Karfreitag aus. Michael Hell führte das – noch blutjunge – Ensemble ĀRT HOUSE 17 durch eine unerhört lebendige, eindringliche Aufführung von Pergolesis berühmtem „Stabat mater“. Und mit Gemma Bertagnolli (Sopran) und Iris Vermillion (Alt) erlebten wir zwei Marien, deren blutvolle, hochdramatische Klage um Jesus am Kreuz uns eindrucksvoll vor Ohren führten, dass Pergolesi ein Opernkomponist aus Süditalien gewesen ist.

Die zweite Mutter hieß Pachamama, also Mutter Erde, und die trauert bekanntlich um sich selbst. Ismael Barrios und Freunde entführten uns mit wunderbaren Originalklang-Instrumenten in die Region, wo unser blauer Planet seine grüne Lunge hat. Und Silvana Veit sang uns die schönsten Lieder Amazoniens zu Ehren der Madre tierra mit sanft strömendem Timbre.

Orchester recreation in der Helmut List Halle
© Nikola Milatovic

Orchester recreation mit Solistin Stephanie Houtzeel

Florian Groß mit Dirigentenstab
© Nikola Milatovic

Florian Groß

EWIGER FRÜHLING FÜR GROSSES ORCHESTER

Von den 890 (durchwegs negativen, gottseidank) Coronatests, die wir im Zuge des PSALM-Festivals gemacht haben, entfiel ein ordentlicher Teil auf die Produktion des Ostersonntags. Knapp 80 Musiker*innen zählten wir da in der Helmut List Halle, so viele wie schon lang nicht mehr: recreation – GROSSES ORCHESTER GRAZ machte also seinem Namen alle Ehre – und bescherte unserem Streamteam traumhafte Bilder und Klänge zur Liveübertragung.

Stephanie Houtzeel vor Orchester, Blick nach oben
© Nikola Milatovic

Stephanie Houtzeel

Herbert Lippert singt
© Nikola Milatovic

Herbert Lippert

Wieder stand Mutter Natur im Mittelpunkt, magisch schön besungen in Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. Am Pult sorgte unser junger Freund Florian Groß für die ideale Klarheit und Balance; für ein mahlerisches Klangfließen, das mit Stephanie Houtzeels Mezzo und Herbert Lipperts Tenor zwei luxuriöse Fin-de siècle-Stimmen in unsere Lautsprecherboxen spülte.

© Nikola Milatovic

GENERATION GRETA

Zum Finale am Ostermontag schneite unsere Lieblingsband herein und performte The Greatest Hits of Zivilcourage. Guthrie und Dylan, Yorke und Eilish – sie alle klangen neu und bunt und unerhört. Zum einen wegen Raphael Meinharts hyperkreativer Meistercombo. Zum anderen wegen Anna Heimraths Fabelstimme, die sich das Material mindestens so frei zu eigen machte wie einst die Primadonnen ihre Da-capo-Arien. Singend, shakend, tanzend teilte sie sich Songs – und Bühnenmitte – mit Granada-Sänger Thomas „Effi“ Petritsch, der am Ende, kurz vor „Bella Ciao“, auch noch Festival-Patronin Greta-Thunberg um eine Wortspende bat, via Mobiltelefon. Was sie zu sagen hatte, war eine ebenso berühmte wie ernüchternde Zwischenbilanz zum Zustand unserer Wonderful World. >>Hier nachzuhören.

Anna Heimrath singt, Raphael Meinhart im Hintergrund
© Nikola Milatovic

Anna Heimrath & Raphael Meinhart

© Nikola Milatovic

Alfred Lang & Thomas "Effi" Petritsch

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