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Magische Saiten

Wolfgang Redik spielt seine Guadagnini Geige
© Nikola Milatovic

Wolfgang Redik, Konzertmeiser des Orchesters Recreation mit der Guadagnini Geige

Die magischen Saiten einer besonderen Beziehung

Was Geigen betrifft, trennt sich hier nun die Spreu vom Weizen. Zweifellos gibt es neue Geigen mit faszinierend schönem Klang, doch eine Violine aus dem 18. Jahrhundert hat schon eine besondere Aura. Wenn sie dann noch aus der Werkstätte des italienischen Großmeisters Giovanni Battista Guadagnini stammt, reicht ihr so schnell kein Saiteninstrument das Wasser.

Ein Beitrag von Kirsten Hauser.

„Das klingt so ein bisschen magisch oder romantisch, aber es stimmt. Ich kann mich erinnern, dass mein befreundeter Geigenbauer in den ersten Jahren gesagt hat: Die Geige klingt jetzt so anders – seit du sie spielst“, erzählt Wolfgang Redik. Seit mehr als 25 Jahren spielt der Konzertmeister des Orchesters Recreation eine alte italienische Meistergeige von Giovanni Battista Guadagnini. Die Geige wurde 1772 in Turin gebaut und gehört heute zu den ganz großen italienischen Meisterinstrumenten. Giovanni Battista Guadagnini wurde 1711 im italienischen Bilegno geboren und begann im Alter von 27 Jahren eine Tischlerlehre, die ihn gut zehn Jahre später nach Mailand führte, wo er sich im lebendigen Musikleben bereits eine beachtliche Reputation als Geigenbauer verdienen konnte. Schließlich landete er am Hof des Herzogs von Parma, von wo aus Giovanni Battista Guadagnini der Ruf eines einmaligen Großmeisters vorauseilte. Und der ist ihm bis heute geblieben. Für sein Fortkommen vertiefte er sich auch in Aufzeichnungen von Antonio Stradivari, dessen Instrumente neben jenen von Giuseppe Guarneri del Gesù zu den wertvollsten unserer Zeit zählen. Doch auch Meisterwerke Guadagninis erzielen heute unvorstellbar hohe Preise auf internationalen Auktionen. So wechselte seine „Sinzheimer“-Geige vor sechs Jahren beim Londoner Auktionshaus Tarisio zum Rekordpreis von 1,8 Millionen Euro den Besitzer. Zum Vergleich: Stradivaris „Lady Blunt“ erzielte bei einer Wohltätigkeits-Auktion den stolzen Preis von 11,6 Millionen Euro. Nun ja, eine Geige also aus den Händen von Guadagnini ist derzeit eines der wertvollsten Saiteninstrumente der Welt. Namhafte Solisten spielen eine solche, darunter Ernst Kovacic, Julia Fischer, David Garrett oder auch Vanessa-Mae. Und Wolfgang Redik.

Geiger Wolfgang Redik
© Michael Romanovský

Geiger Wolfgang Redik

Die Legenden der italienischen Großmeister

Der spezielle Wert eines solchen Instruments zeigt sich für den geborenen Grazer in dessen Beziehung zum Spielenden. „Diese alten Meisterinstrumente können sich wirklich an den Spieler anpassen. Sie machen eine unglaubliche Entwicklung“, schildert der Konzertmeister des Orchesters Recreation.

So einige interessante Feinheiten sind es, die eine historische Geige zu einem legendenhaften Unikum machen. Da wäre etwa die Auswahl des Holzes. Man möchte meinen, da ließen sich heute durch Technologien viel höhere Qualitätsstufen erreichen. Und tatsächlich, so manche moderne Geige klingt unfassbar schön. Doch allein die Tatsache, dass es vor 250 Jahren Geigenbauern gelang, klanglich mindestens ebenso umwerfende Instrumente zu bauen, trägt schon zu einer gewissen Legendenhaftigkeit bei. Nebenbei erwähnt, es existieren doch recht wilde Mythen zu den Praktiken der großen italienischen Meister. Stradivari etwa soll doch tatsächlich – so hieß es eine Zeit lang – den eigenen Urin zum Lack seiner Geigen gemischt haben. Der Lack nämlich spiele eine größere Rolle als der Laie vermuten möchte, weiß Wolfgang Redik. Natürlich spiele er eine Rolle für die Haltbarkeit. Quasi als Schutzschicht soll er jedoch auch mit den Schwingungen, die das Instrument macht, mitschwingen. Er muss also so dünn wie möglich und so flexibel wie möglich sein. „Denn sonst kann man einfach ganz fest drüber lackieren und es schaut zwar schön aus, aber es kommt nix raus! Um es kurz zu fassen: Es ist und bleibt ein Mysterium. Selbstverständlich spielt bei einer alten Geige auch der antiquarische Wert eine Rolle. Eine Geige, die viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinter sich gebracht hat und durch gute Behandlung trotzdem eigentlich immer besser wird. Das ist schon schwer zu erklären außer durch irgendwelche Legenden“, erzählt Redik.

Das Besondere an seiner Guadagnini sei die Ausgeglichenheit: „Es gibt Geigen, die eine tolle G-Saite haben. Da bekommt man Gänsehaut, wenn man eine Stelle auf der G-Saite hört, und die anderen Saiten sind Durchschnitt. Dann gibt es Geigen, die unglaublich strahlen in der Höhe, auf der E-Saite, aber dafür die unteren Saiten eher unspektakulär sind. Und dann gibt es Geigen – wie eben meine –, die unglaublich ausgeglichen sind und auf allen Tonlagen einen unglaublichen Farbenreichtum haben“. Gebaut wurde die Geige – wie bereits erwähnt – im Jahr 1772 in Turin. Heute ist sie im Besitz der Österreichischen Nationalbank.

1989 gründete die OeNB eine Sammlung historischer Streichinstrumente. Was mit drei Instrumenten begann, besteht heute aus 45 historischen Meisterstücken, darunter neun Geigen von Antonio Stradivari und zwei von Giuseppe Guarneri del Gesù. Seit Beginn werden die Instrumente an Musikerinnen und Musiker aus Österreich stammend oder mit Österreichbezug vergeben, die diese regelmäßig in den größten Konzertsälen Europas und weltweit spielen. Zum einen finden sich darunter junge, aufstrebende Talente und zum anderen namhafte, herausragende Persönlichkeiten – Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, renommierte Solisten und Kammermusiker und Kammermusikerinnen. Die Homepage der OeNB verrät zudem alle Details zum Aufbau und zur Geschichte der Sammlungsstücke. So auch über Guadagninis Geige aus dem Jahr 1772. „Das optische Erscheinungsbild des Instruments dominiert ein rötlich brauner Farblack, der auf einem sehr transparenten, goldgelben Grund liegt. Das Instrument befindet sich in gutem Gesamtzustand“, steht da etwa geschrieben. Als Leihnehmer findet man hier eben Wolfgang Redik. „Meine Geige wurde damals für etwa 500.000 Euro gekauft und ist mittlerweile das Fünffache wert. Und es gibt noch viel höhere Fluktuationen, vor allem bei selteneren Instrumenten wie Bratschen und Celli. Diese seltenen Instrumente der großen Meister sind noch gesuchter und die Preise sind noch verrückter“, verrät Redik. „Ich habe mich damals als sehr junger Geiger, gerade am Beginn meiner solistischen kammermusikalischen Karriere, beworben und habe der OeNB geschrieben, dass ich Interesse hätte. Ein dreiviertel Jahr später habe ich dann die Geige bekommen.“

OeNB Sammlung historischer Streichinstrumente

Die Modernisierung einer alten Kunst

Was 1997 begann, hat sich mit der Zeit zu einer sehr persönlichen Beziehung zwischen dem Musiker und dem Instrument entwickelt. Und hier kommen wir zurück zu Spreu und Weizen. Die Geigen der italienischen Großmeister kennen ihre Spieler mit der Zeit und passen sich ihrem Spiel an. Sie verändern sich durch die Art, wie man sie behandelt. „Auch durch das Repertoire, das auf ihr gespielt wird“, schildert Wolfgang Redik: „Wenn ich jetzt immer nur zeitgenössische Musik darauf spiele, zupfen und kratzen würde, dann würde meine Geige anders klingen. Und wenn ich nur Bach drauf spielen würde, wäre es auch etwas anderes. Meine Dankbarkeit der OeNB gegenüber könnte nicht größer sein, denn es hat doch einen unglaublichen Unterschied gemacht, diese Geige zu spielen.“

Trotz des hohen Alters eines historischen Instruments sprechen wir allerdings nicht mehr von Originalklang, denn die wertvollen Violinen, die bis heute überlebt haben, werden regelmäßig modernisiert. Der Winkel zwischen Hals und Korpus wird erneuert, die Proportionen sind andere und der vermeintlich spannendste Punkt: Heutige Geigen müssen einem viel höheren Druck standhalten. Warum? Weil die Stimmung damals eine andere war! Eine Geige aus dem 17. oder 18. Jahrhundert wurde auf 415 Hz gestimmt, heute allerdings wird der Kammerton a auf 443 Hz gestimmt (in Deutschland und Österreich). Das sind, übersetzt auf eine Geige, viele Kilo Druck, die das Instrument aushalten muss. Der Druck wird durch die Spannung auf den Saiten über den Steg auf den Korpus geleitet. Je höher die Saiten gestimmt sind, desto höher ist dieser Druck. Und der Unterschied zwischen 415 und 443 ist gewaltig – in der Tonlage circa ein Halbton und druckmäßig sind es einige Kilo mehr, die eine Geige eben ständig aushalten muss. Aus diesem Grund bekommen historische Geigen im Laufe ihres Lebens alle zumindest einen stärkeren Steg – so sie denn regelmäßig gespielt werden. Der regelmäßige Besuch beim Geigenbauer ist übrigens Pflicht für alle Instrumente der OeNB-Sammlung. Und es muss ein ganz bestimmter sein, denn die Geigen werden alle vom selben Wiener Geigenbauer betreut. Das ist neben einer Pflichtversicherung Teil der Auflagen, wenn man als Musikerin oder Musiker ein Instrument aus der Sammlung spielt. Dort wird dann zweimal jährlich ein Blick auf die Instrumente geworfen, ihr Zustand wird überprüft, allfällige Reparaturen werden gemacht und das Instrument bekommt einen grünen Haken.

Wolfgang Redik spielt eine Geige von Giovanni Battista Guadagnini
© Nikola Milatovic

Konzertmeister Wolfgang Redik

In den vergangenen zwei Monaten war Wolfgang Rediks Geige bei eben diesem Wiener Geigenbauer zur stationären Behandlung untergebracht: „Das war eine sehr schmerzhafte Erfahrung“, gesteht der Konzertmeister des Orchesters Recreation mit Augenzwinkern, „Seit heute Früh habe ich sie wieder. Ich habe sie abgeholt, weil ich aus London wiedergekommen bin. Ich war sehr froh. Es ist auf der einen Seite ein riesiges Privileg, so eine Geige zu spielen, und auf der anderen Seite eine riesige Verantwortung. Ich wurde und werde immer wieder von Kollegen ausgelacht. Wenn ich nämlich im Loungebereich eines Flughafens aufs Klo gehe, dann geht die Geige mit. Man darf sie auch nicht im Auto lassen, wenn man schnell seine Hemden abholt. Also man muss sich daran gewöhnen: Die Geige kommt immer mit. Mir ist aufgefallen – dutzende Male: Wenn ich verkühlt bin, dann klingt die Geige schlecht. Das ist jedes Mal so. Und manchmal ist es auch umgekehrt. Da merke ich, die Geige klingt nicht gut, die Geige hat irgendwas. Wenn ich zum Beispiel gerade aus Korea zurückkomme und dort hat es nur geregnet oder war zu trocken. Ein so altes Holz reagiert natürlich rascher und man muss sehr genau dahinter sein, dass man eine gewisse Luftfeuchtigkeit beibehält. Meine Geige ist Gott sei Dank relativ brav und nicht ganz so divenhaft wie andere Geigen. Es gibt Geigen, die sind furchtbar, was klimatische Veränderungen betrifft. Ich merke oft, dass die Geige verschnupft ist und merke dann am nächsten Tag, dass auch ich verschnupft bin. Es ist lustig und vielleicht ein bisschen Einbildung. Aber es soll ja auch nur eine bezeugende Erklärung sein, dass das auch eine Beziehung ist.“

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