Von Mathis Huber
Im Jahr des Herrn 1660 wurde im Weiler Hirtenfeld, wenige Kilometer östlich der Landeshauptstadt Graz, dem Bauern Andreas Fux ein Hoferbe geboren und auf den Namen Johann Joseph getauft. Über seinen Geburtstag gibt es keine Aufzeichnungen, jedoch: Als ein langes Leben später, am 13. Februar 1741, in der fernen Residenzstadt Wien derselbe Johann Joseph starb, im Glanz des Kaiserhofes, als Inhaber eines der höchsten Ämter, die das musikalische Europa zu vergeben hatte: als kaiserlicher Hofkapellmeister, da gab der Totenschein sein Alter mit 81 Jahren an – biblisch, aber für die meisten Träger des Namens Fux in Hirtenfeld normal.
Zwischen diesen beiden Polen, dem Anfang auf den Kuhweiden von Hirtenfeld, und dem Ziel in den Palästen und Hofkirchen dreier Habsburger Herrscher, liegt eine wahrhaft märchenhafte Karriere, von der viele Schritte wohl auf immer im Dunklen bleiben werden. Immerhin ahnen wir, dass die musikalische Berufung schon den Bauernbuben befallen haben muss, so wie es Fux in seinem legendären Kompositionslehrbuch „Gradus ad Parnassum“ schildert: „Schon zu der Zeit, als ich noch nicht im Vollbesitz meiner Vernunft war, wurde ich durch die Heftigkeit eines unbekannten Triebes hingerissen: All mein Sinnen und Trachten richtete sich auf die Musik, und auch jetzt noch durchglüht mich die Begierde, sie zu erlernen; wie willenlos werde ich dahin gedrängt; Tag und Nacht scheinen meine Ohren von süßen Klängen widerzuhallen, so dass ich an der Wahrheit meiner Berufung durchaus nicht zweifle.“
So muss man wohl gestimmt sein, wenn man ein Komponist werden will. Wenn man als Bauernbub an einem der vornehmsten Höfe Europas sein Glück machen will, braucht man aber wohl noch etwas mehr. Wir müssen uns vorstellen, dass der kleine Fux in der Pfarre St. Marein auf einen guten Lehrer, auf einen weitsichtigen Pfarrer getroffen ist. Und dass er Talente mitbrachte, die außergewöhnlich waren: Im Jahr 1680 treffen wir ihn als Studenten der Grazer Jesuitenuniversität an, der im Internat des Ferdinandeums einen Freiplatz erhält, gegen Kirchenmusikdienste in der Hofkirche, dem heutigen Dom. 1683 schon hält es ihn hier nicht mehr. Fux geht an die Jesuitenuniversität in Ingolstadt, um die Rechte zu studieren, und daneben übernimmt er dort die Organistenstelle an St. Moritz. Also ein klassischer Werkstudent, wie man das heute nennen würde. Irgendwann um 1688 verlässt er auch Ingolstadt, und wir verlieren ihn für Jahre aus den Augen.
Hat er in Italien studiert, im Land der Musik, war er in Frankreich? Sein virtuoser Umgang mit den Musikstilen dieser Länder würde es nahelegen. Vielleicht aber hat er alles, was er brauchte, in Wien kennengelernt, wo seit langer Zeit in Sachen Musik die Italiener den Ton angeben. Als Fux wieder aktenkundig wird, ist er jedenfalls ein gemachter Mann: Am 5. Juni 1696, im Alter von 36 Jahren, heiratet er in Wien Clara Juliana Schnitzenbaum, Tochter eines höheren Hofbeamten, eine unter normalen Umständen ganz unmögliche Partie für einen Bauernbuben aus Hirtenfeld. Er ist zu dieser Zeit Organist am Wiener Schottenstift, also seinen Kaisern schon sehr nahegekommen.
Und irgendwann in diesen Jahren hat ihn dann Kaiser Leopold I. auch entdeckt. Leopold war – wie seine Söhne Joseph und Karl auch – ein musikbesessener Herrscher, und er war selbst ein begnadeter Komponist. Der Legende nach musste er zu einer List greifen, um Fux seinem Hofstaat einzugliedern. Denn die Italiener, die Beherrscher der Hofmusik, hatten kein Interesse an der Konkurrenz eines Steirers, und so legte ihnen der Kaiser eine Messe von Fux als neuestes Werk aus Italien vor. Sie lobten die neue Musik über die Maßen, und schon waren sie in die Falle gegangen: Fux wurde im April 1698 zum Hofkomponisten Leopold I. ernannt, und ab dem Jahr 1705 war er zusätzlich Kapellmeister am Gnadenbild Maria Pötsch im Wiener Stephansdom. Im selben Jahr begann Fux eine neue Karriere: Der junge dynamische Joseph I. folgte seinem Vater Leopold I. auf den Kaiserthron und gab in großer Zahl italienische Opern in Auftrag, auch bei dem Steirer. Die erste, die sich erhalten hat, heißt „Julo Ascanio, Re d’Alba“. Als Joseph 1711 völlig überraschend starb, bestieg dessen Bruder Karl VI. den Kaiserthron. Auch er schätzte den Opernkomponisten Fux, noch viel mehr aber den Meister der Oratorien und der Kirchenmusik, am allermeisten den gütigen und umsichtigen Organisator. Unter Karl wurde der Steirer zuerst Vizekapellmeister und 1715 dann Hofkapellmeister. Höher konnte ein Musiker des 18. Jahrhunderts nicht hinaus.
Mittlerweile 55 Jahre alt geworden, konnte Fux jetzt all die Trümpfe ausspielen, die er in seinem Leben eingesammelt hatte. Sein Studium der Rechte erleichterte ihm die souveräne Führung einer großen Wiener Institution: Die Hofkapelle des Kaisers beschäftigte mitunter 140 Personen, und deren Interessen waren auch gegen manche Hofintrigen zu verteidigen. Sein geschliffenes Latein und seine strenge Systematik lassen aus seinem Kompositionslehrbuch „Gradus ad Parnassum“ – Die Stufen zum Parnass, dem Berg der Musen – einen Klassiker werden, den noch Generationen von Musikern bis ins 19. Jahrhundert und weiter als Fundament ihrer Kunst durchschreiten. Und mit seiner breiten und langen musikalischen Erfahrung lässt er für seinen Kaiser Werke in allen Gattungen erblühen, vom repräsentativen Opernspektakel bis zum stillen Vergnügen der Majestäten in der kaiserlichen Kammer.
So hat Fux ein riesiges Œuvre hinterlassen (das übrigens heute noch längst nicht wieder komplett zugänglich ist). Keinen geringen Teil dieses Werkes musste Fux seiner angegriffenen Gesundheit abtrotzen, denn eine schwere Gicht machte ihm zu schaffen und setzte ihn mitunter für Monate außer Gefecht. 1723, als er dem Kaiser eine Prachtoper für ein Fest in Prag geschrieben hatte, die legendäre „Costanza e fortezza“, zu der halb Europa nach Böhmen kam, ließ Karl VI. seinen Kapellmeister in der Sänfte von Wien nach Prag tragen, weil der eine Fahrt mit der Kutsche vor Schmerzen nicht überlebt hätte. Auch ein Zeichen der Wertschätzung, wie es nicht viele Musiker erhalten haben würden.
Die Verbindung zur Heimat in Hirtenfeld ließ auch der Hofkapellmeister nicht abreißen. Kinderlos geblieben, nahm er Maria, die älteste Tochter, und später Matthäus, den jüngsten Sohn seines Bruders, zu sich nach Wien und ließ sie ausbilden. Nach dem Tod dieser Maria Fuxin im Jahr des Herrn 1773 (sie hatte dem alten Hofkapellmeister den Haushalt geführt und war unverheiratet geblieben), erfreute sich die große Fuxische Verwandtschaft in Hirtenfeld eines reichen, unverhofften Geldsegens aus der Hauptstadt. Gezeichnet haben die Hirtenfelder Fuxe den Empfang der Erbschaft samt und sonders anstelle einer Unterschrift mit einem Kreuz.