Das Stehauffestival
Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Opern-Sprechrolle, umgeben von Musen
Von Matthias Wagner
Ah, wie das funkelt! Sechs Frauenstimmen fallen dem Intendanten bei seiner Begrüßungsrede ins Wort, mit einem aufreizenden „Gradus ad Parnassum“ in enger Lage. So hat es Flora Geißelbrecht komponiert, vor wenigen Tagen, auf das nachtgeborene Instant-Libretto von Thomas Höft.
Das sind die Musen vom Parnass, und sie haben nicht vor, das Wort heute nur den Männern zu überlassen, den höchsten Männern im Staat. Dabei haben die wunderschöne Statements mitgebracht, sind voll des Lobes für die styriarte, das Stehauf-Festival, das heute so einen Zauber veranstaltet, allen Vorzeichen zum Trotz.
Intendant Mathis Huber eröffnet die styriarte 2020
Festredner und Vizekanzler Werner Kogler
EIN HOCH AUF DIE STURHEIT
Innovationskraft nennt es Kulturstadtrat Günter Riegler; steirische Sturheit ortet darin Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. Der Widerspruchsgeist gehöre zur Kunst, das habe schon Übervater Nikolaus Harnoncourt verkörpert. Auch Vizekanzler Werner Kogler lobt den optimistischen Stursinn, mit dem in seiner steirischen Heimat „aus scheinbar Altem so viel Neues“ geschaffen wird.
Und siehe da, die hohen Gäste halten sich bei ihrem Operndebüt ans Protokoll der Uraufführung. Vermutlich in keinem Parlament der Welt werden Redezeiten so genau beachtet. Dazwischen, als prachtvoll tragende Säulen, die Klänge von Übergroßvater Johann Joseph Fux, und ein vierköpfiges Energiebündel namens Spafudla, das Publikum und Ehrengäste mit scharf gewürzten steirischen Volkstänzen beglückt. Ah, wie das wirbelt.
Stadtrat Günter Riegler
Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer
KUNST IST (WICHTIG)
Das gefällt auch dem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der auch da ist – und darüber ins Sinnieren kommt, dass genau dieser Fux, dessen Musik wir heute hören, damals, vor 300 Jahren, in seinen Arbeitsräumen in der Hofburg aus- und eingegangen ist. Kunst brauche keine externe Rechtfertigung, wie wirtschaftliche Umwegrentabilität oder dergleichen. „Kunst ist wichtig, weil es Kunst ist. Kurz: Kunst ist“, sagt Alexander Van der Bellen – und schließt mit noch stärkeren Worten aus dem Gedicht „Die Nacht“ von Alfred Kolleritsch.
„Das Gestern ist nicht mehr“, verkünden die Musen noch von ihren Podesten herab. Und beenden die Polit-Oper, deren rasante Entstehungsgeschichte ins nächste Guinness-Buch gehört, mit einer Hoffnungsbotschaft an die Welt, die gebeutelte.
Fröhliche Showeinlage: Die Spafudla
Opernkomponistin Flora Geißelbrecht mit ihrem prominenten Kollegen Gerd Kühr
Opernlibrettist und Dramaturg Thomas Höft vor der ORF-Kamera
ZEITREISE MIT OPERNZAUBERTRANK
Hoffnung für die Kunst, die holde, weckt in uns allen dann auch das Konzert, das eigentlich eine Opernaufführung sein hätte sollen. Geworden ist es ein gemischtes Programm aus Instrumentalstücken und Auszügen von Fux´ Oper „Gli Ossequi della Notte“, die 311 Jahre lang kein Mensch gehört hat.
Was für einen Schatz wir da wieder heben dürfen, in diesem allegorischen Spiel, das unserem heurigen Festival das Motto gab. Und welche prachtvollen Stimmen wir hören! Die Nacht verkörpert Maria Ladurner, den Schlaf gibt Valerio Contaldo. Beide haben offenbar als Kinder im italienischen Opernzaubertrank gebadet, finden in Rezitativen und Arien immer die goldene Mitte zwischen Ausdruck und Wohlklang.
Maria Ladurner als La Notte in Die Geschenke der Nacht
Valero Contaldo
DER SCHNARCHENDE BASS
Ohne Worte, aber nicht weniger sprechend sind die Soli der Instrumentalisten. Sie malen Bilder, Szenen, Stimmungen, die eindrücklicher nicht sein könnten. Es geht um die Nacht, was sonst. Maestro Bernardini, Alfredo Bernardini, der das Festspiel-Orchester mit seinen feinsinnigen Händen von einem Glanzmoment zum nächsten trägt, segelt selbst auf der Oboe durch die surrealen harmonischen Schattenwelten von Fux´ „Nachtwächter“-Konzert mit dem schnarchenden Kontrabass.
WIEDERSEHEN MIT IVAN
Zu Fux und Geißelbrecht gesellt sich dann noch Vivaldi, in dessen Flötenkonzert „La notte“ die Traversflöte Marcello Gattis urkomische Rangeleien mit dem Fagott von Ivan Calestani ausficht. Das ist genau jener Ivan, der uns am Beginn der Corona-Krise ein herzzerreißendes „Va, pensiero“ geblasen hat, einen schmerzvollen Gruß an die italienische Heimat. Dass er wieder da sein kann, leibhaftig und fröhlich, das macht uns glücklich, denken wir, als das zweite Largo anhebt, dieses unerhörte Endlos-Diminuendo namens „Il sonno“ („Der Schlaf“) – und selig entschlummert. Der Spuk ist vorbei. Es lebe die Musik.
Marcello Gatti, Ivan Calestani, Alfredo Bernardini (von links)