Am 15. November 2021 hatte ich die Ehre, mich im Stefaniensaal des Grazer Congress von Saint-Säens Cellokonzert und Mendelssohns Sinfonie Nummer drei, auch „Schottische“ genannt, verzaubern zu lassen. Davor waren mir weder Saint-Säens noch Mendelssohn ein Begriff. Seit diesem Abend jedoch haben sie und ihre Musik einen ganz besonderen Platz in meinen Spotify-Playlists „Entspannen in der Badewanne“ und „Meisterwerke der Klassik zum Prokrastinieren und Zähne putzen“.
Wissen’S was? Lassen wir das.
Musik wird von Menschen erschaffen. Musik wird von Menschen gehört. Musik wird von Menschen geliebt. Oder auch gehasst, wenn’s blöd läuft. Rezensionen und Erlebnisberichte – ob in Zeitungen oder in Form einer Instagram-Story – erscheinen zumindest in pandemiefreien Kulturjahren am laufenden Band und manche davon werden sogar gelesen. Ich finde jedoch, wir Menschen sollten uns von Zeit zu Zeit mal zurücknehmen und jene zu Wort kommen lassen, die sonst nie die Gelegenheit dazu haben. Obwohl sie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, ein einwandfreies Konzerterlebnis zu ermöglichen, fragen wir sie eigentlich nie nach ihrer Meinung. Warum eigentlich? Ich habe mich nach dem Konzert ein wenig im Stefaniensaal umgehört:
War das Konzert nach Ihrem Geschmack?
Zweiter von links (ein Kronleuchter): „Ein paar Mal habe ich mich ganz schön erschreckt bei den dramatischen Wechseln. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Regen. Nebel, Krieg und Tod. Zum zweiten Satz aber muss ich sagen: Es war mir ein Volksfest. Am liebsten hätte ich ein wenig mitgeschunkelt. Allerdings wollte ich dem Herrn direkt unter mir keine Angst einjagen. Der blickte ohnehin die ganze Zeit so skeptisch zu mir nach oben und fürchtete um sein Leben.“
Erster und zweiter Kronleuchter von links im Grazer Stefaniensaal
Zweiter von rechts (ebenso ein Kronleuchter): „Ehrlich gesagt war ich es, der um sein Leben fürchtete. Die ganze Zeit hatte ich ein bisserl Schiss, dem Herrn Dirigenten Hofstetter könnte vor lauter Enthusiasmus sein Taktstock auskommen.“
Wie haben Sie das Konzert erlebt?
Parterre rechts, Reihe 6, Platz 13 (ein Stuhl): „Ich habe seit geraumer Zeit einen steifen Rücken. Verspannter als ich kann man nicht sein. Das schien auch die Dame zu stören, die auf mir saß. Sobald Herr Pejčić Hand an sein Cello anlegte, konnte sie sich ohne Probleme bequem in meine Lehne fallen lassen.“
Was wird Ihnen besonders gut in Erinnerung bleiben?
Parterre rechts, Reihe 6, Platz 12 (ebenso ein Stuhl): „Im letzten Satz der Schottischen schien es, als würden die Schotten ihre Schlachten direkt im Saal ausführen. Sogar der Boden hat vibriert. Das kitzelt. Hihi.“
Der Parkettboden: „Das kann ich bestätigen. Ich zittere jetzt noch innerlich.“
Die Orgel: „Man möchte meinen, wer hinter den Musiker:innen sitzt, habe nicht den besten Blick auf die Bühne. Das mag stimmen. Dafür konnte ich bestens beobachten, wie sich der Saal während des Konzertes wandelte. Während Mendelssohns Symphonie schien es, als würden die Zuschauer plötzlich mitten im Grünen sitzen. Es war, als würde das Gold auf den Wänden vom dichten schottischen Nebel verschlungen werden. Als wären sie nicht mehr existent, gar überflüssig.“
Blick von der Orgel aus über das Orchester in den Stefaniensaal
Anmerkung der Redaktion: Die linke Wand und ihre Kollegin waren daraufhin leider schwer beleidigt und verweigerten jegliche Aussage.
Was ist Ihre Meinung zum Konzert?
Herr Franz Schubert (bzw. sein Abbild auf der rechten Wand): „Eine Meisterleistung. Muss neidlos anerkannt werden. Die Musiker:innen könnten allerdings mal ein bisschen weniger ernst dreinschauen.“
Herr Richard Wagner: „Kein Kommentar”.
Die Reaktionen zur Aufführung Ihres Werkes sind fast einhellig positiv, teilweise sogar jene von Kollegen. Was sagen Sie dazu?
Herr Felix Mendelssohn: … (Freudentränen rollen ihm über die gemalten Wangen)
Herr Mendelssohn war so stolz, dass er kein Wort rausbrachte und vor Freude in Tränen ausbrach. Vielleicht war aber auch das Dach undicht und es tropfte ihm aufs Gesicht. Vielleicht wollte ich nur einen besonders kitschigen Abschluss für ein Interview finden, das womöglich niemals stattgefunden hat.
Bildnis von Felix Mendelssohn im Grazer Stefaniensaal
Egal. Auf jeden Fall möchte ich allen Leser:innen nahelegen, beim nächsten Konzertbesuch die Augen noch etwas weiter aufzumachen und durch den Raum schweifen zu lassen. Musik macht nicht nur etwas mit uns. Musik verändert alles um uns herum, egal wie statisch es erscheinen mag.
Kunst um der Kunst Willen
Die Autorin Franziska Pronneg im Gespräch mit Katharina Milchrahm
Schon mit ihrem Buch Urbane Nackerpatzerln bewies die Autorin Franziska Pronneg, dass sie einen Blick für Dinge hat, die für viele unentdeckt bleiben. Mit Liebe zum Detail und trockenem Schmäh nimmt sie sich sowohl banale Alltagsgeschichten als auch alltägliche Kuriositäten vor und verwandelt diese in Kurzgeschichten und Gedichte, die berühren und ein Schmunzeln hervorzaubern. Für das Projekt Neue Wege für die Klassik begab sich die steirische Autorin nun in die Welt der klassischen Musik und zeigte auch hier, wie erfrischend es sein kann, die Perspektive zu wechseln. In Es war mir ein Volksfest erzählt sie vom Recreation-Konzertbesuch mit Werken von Saint-Säens und Mendelssohn – aus der Sicht des Stefaniensaals.
„Ein klassisches Konzert ist mehr als nur dasitzen und sich eine Stunde lang berieseln lassen. Da passiert auch was.“
Die Motivation hinter ihrem Text „Es war mir ein Volksfest“ beschreibt Franziska Pronneg mit demselben Pragmatismus, der auch aus ihren Kurzgeschichten hervorscheint: Kunst um der Kunst willen. Für sie sei es aber auch wichtig gewesen, einen schönen Auftritt, ein schönes künstlerisches Werk zu beschreiben – und das eben aus der Sicht der Kronleuchter und der Bilder von Komponisten an der Wand des Saals. Verdient hat die Klassik diese Aufmerksamkeit laut Franziska Pronneg nämlich allemal, da diese nicht nur Einfluss auf die Menschen, sondern auf den gesamten Saal selbst hat. Und der Saal ist es eben, der es der Autorin ganz besonders angetan hat. „Man kann extrem viel Glück oder extrem viel Pech haben, je nachdem, wo man platziert ist. Die Platzierung und der Raum beeinflussen das Erlebnis einfach extrem“, so Franziska. „Deswegen bin ich eigentlich darauf gekommen, nicht darüber zu schreiben, wie ich mich während des Konzerts fühle, sondern zu versuchen, den Text aus der Sicht des Raumes zu verfassen.“
„Ich bin nicht unbedingt in der klassischen Zielgruppe für solche Konzerte.“
Mit klassischer Musik in Berührung gekommen ist Franziska Pronneg bisher nur beim Lernen und Entspannen mit Musik von Vivaldi. Das Konzert habe ihr dennoch „extrem gut gefallen“. Besonders angetan hat der Autorin das Cellokonzert von Saint-Säens, nicht zuletzt aufgrund des energetischen und emotionalen Solisten. „Man konnte aus nächster Nähe beobachten, wie der das intus hat, dabei ist, die Welt um sich herum ausblendet und nur bei seinem Instrument ist.“ Am faszinierendsten fand sie aber den Dirigenten: „Als Außenstehender weiß man nicht, wie die Kommunikation zwischen Dirigenten und Orchester funktioniert, aber sie funktioniert lustigerweise irgendwie.“
„Ich mag Dialekte, weil sie die Vielfalt im Sprachausdruck irrsinnig erweitern.“
Und abseits von klassischer Musik? Da beschäftigt sich die junge Autorin begeistert mit Sprachen und deren Dialekten. Als Lieblingswort listet sie den Begriff ‚weinen‘, und zählt prompt fünf bis zehn Ausdrücke dafür im Dialekt auf. Zum Schreiben ist sie durch das Tagebuch-Schreiben als Jugendliche gekommen und hat sich dann über Dialekt-Poetry-Slams bis zu ihrem eigenen Buch voller Kurzgeschichten geschrieben. In denen erzählt sie von Begegnungen mit Menschen und Dingen in Graz und greift auf Episoden aus ihrem Leben zurück. Ihr Erfolgsrezept lautet wie folgt: „Mein Anspruch an die Texte ist, dass sie unterhaltsam, nachvollziehbar zu lesen und zugänglich sind. Grundsätzlich überlege ich mir ‚Will das irgendjemand lesen? Interessiert’s wen?‘“
Wir sagen ja. Denn wie es den Kronleuchtern im Stefaniensaal bei unseren klassischen Konzerten geht, wollten wir schon immer wissen ;)
Ein Projekt im Rahmen von Neue Wege für die Klassik.
Das Projekt wird finanziert vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport.