PSALM in den Zyklen der Natur
Einst lebten wir Menschen ganz im Einklang mit der Natur – mancherorts tun wir das immer noch. Denn die Mechanismen des physischen Daseins und unser natürlicher Lebensraum funktionieren als rhythmisches Kommen und Gehen, Leben und Sterben, Bewegen und Ruhen. Und all das geschieht in Zyklen. Unter dem Titel „Lebenskreise“ versucht das Osterfestival PSALM von 24. März bis 1. April ein musikalisches Spüren und Erleben dieser Zyklen der Natur.
Ein Beitrag von Kirsten Hauser.
JAHRESZYKLUS
1 Jahr / 12 Monate / 52 Wochen / 365 Tage / 8.760 Stunden / 525.600 Minuten / 31.536.000 Sekunden
Der Jahreszyklus. Die Natur keimt, gedeiht und stirbt in ihren ganz eigenen Zyklen. Vier Jahreszeiten erleben wir Menschen im Spiegel der Natur gemäßigter Klimaregionen. Doch das Konzept von „Frühling, Sommer, Herbst und Winter“ ist nur eine von vielen Perspektiven auf den Jahreszyklus unserer Mutter Erde. Viel kleinteiliger sehen die zwölf Monate eines Jahres jene unter uns, die sich aus vielerlei Gründen vertiefend mit der Natur auseinandersetzen. Die Phänologie beschreibt für Mitteleuropa gar zehn Jahreszeiten, die den Rhythmus von Tier- und Pflanzenwelt prägen.
Als Saatzeit, Reifezeit, Erntezeit und Schonzeit stellt die Landwirtschaft den Jahreszyklus dar. Im Weinbau beginnt der Vegetationszyklus mit dem Austrieb der Knospen im Frühling und endet mit dem Blattfall im Spätherbst. Vom letzten Frost im Frühjahr zum ersten Frost im Herbst. Am Ende der wohl arbeitsreichsten Zeit steht da im Brauchtum des Weinanbaus das Weinlesefest.
Mit der Erzählung eines solchen Festes gestaltet im kommenden Psalm-Festival die Musikfamilie Citoller Tanzgeiger XL einen Abend im Zeichen des Steirischen Herbstes. Doch auch dem Frühling, dem Sommer und dem Winter begegnen wir an je einem Abend: mit den unvergleichlichen Gesängen der Sarden von Cuncordu e Tenore de Orosai, mit glühenden Roma-Rhythmen der Gypsy Devils und mit mystischen Winterballaden von Hirundo Maris.
MONDZYKLUS
1 Monat / 4 Wochen / 28 Tage / 672 Stunden / 40.320 Minuten / 2.419.200 Sekunden
Der Mondzyklus. Der Mond gilt als mystisches Wesen im Repertoire unseres Universums. Er diente an vielen Stellen der Film- und Literaturgeschichte als außenstehender Beobachter, der doch großen Einfluss auf Mensch und Natur hat. Es heißt, er mache sogar süchtig! Es zieht uns stets zu ihm, auch wenn er für die meisten von uns unerreichbar bleibt. Für seine sich in Zyklen wiederholende eigene Verwandlung benötigt der Mond in etwa einen Monat. In dieser Zeitspanne wird er vom Neumond über eine zunehmende Sichel zum Halbmond und schließlich zum so faszinierenden Vollmond. Ausschlaggebend für diese synodische Umlaufzeit des 384.400 Kilometer entfernten Himmelskörpers ist seine Position zur Sonne. 29 Tage, 12 Stunden und 44 Minuten dauert ein vollständiger Mondzyklus – eine Lunation. Welch herrlich klingendes Wort! Früher auch „Wadel“ genannt und Martin Luther schreibt vom abnehmenden Mond als „altes Licht“, vom zunehmenden als „junges Licht“.
Sein Leben nach dem Mond zu richten, gilt in heutigen Tagen wieder als ausgesprochen verführerisch. Gar nicht selten wird auch dem weiblichen Monatszyklus eine naturgegebene Verbindung mit dem Mondzyklus zugeschrieben. An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg wurde eine mögliche Beeinflussung vor wenigen Jahren wissenschaftlich untersucht. Das Forscherteam aus Neurobiologie und Genetik kam zu dem Schluss, dass der Zyklus der Frau vermutlich noch in der Antike synchron mit dem Mondzyklus war. Unsere heutige moderne Welt mit viel künstlichem Licht hat diese Gleichzeitigkeit wohl verändert.
Einblicke in moderne Lebenswelten afrikanischer Frauen gibt im kommenden Psalm-Festival das 7-köpfige Vokal-Ensemble Afrika Mamas und erzählt mit Stimme, Körper und Tanz vom Frau-Sein in der größten südafrikanischen Volksgruppe, der Zulu. Die Stimme eines ungeborenen Kindes aus dem Mutterleib hören wir am Eröffnungsabend mit Lorenz Maierhofers musikalischer Zukunftsgeschichte Clara. Und schlussendlich ganz und gar umwerfend huldigt Tastengöttin Kristina Miller dem Mond am Ostermontag unter dem Titel An den Mond.
ZIRKADIANER ZYKLUS
1 Tag / 24 Stunden / 1.440 Minuten / 86.400 Sekunden
Der zirkadiane Zyklus. Der menschliche Körper ist schon ein Wunder. Er funktioniert in den meisten Fällen im totalen Einklang mit der Natur. Doch naturgemäß ist es wohl auch so, dass der moderne Mensch oft versucht, Einfluss zu nehmen auf seine sogenannte „innere Uhr“. Wir wollen schneller, höher, kürzer und effektiver reisen von A über B nach C bis Z. Doch hörten wir aufmerksam in uns hinein, kämen wir ganz einfach zu dem Schluss: Wir wollen tagsüber wach sein und nachts schlafen. Dafür sorgt der zirkadiane Rhythmus. Er lässt uns wach werden, wenn es draußen hell ist und müde, wenn es dunkel wird. Er beeinflusst Körpertemperatur, Hormone und Essverhalten. Ist unser zirkadianer Rhythmus aus dem Takt, können etwa Diabetes oder Depressionen die Folge sein. Bis in unsere kleinsten Einzelteile – die Zellen – lässt sich das wissenschaftlich nachweisen. Dafür gab es im Jahr 2017 einen Nobelpreis in der Kategorie Medizin/Physiologie.
Der Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen ist zwar nur ein ausgewählter Aspekt des zirkadianen Rhythmus, doch ein für das kommende Psalm-Festival ganz entscheidender. Wir werden diesen nämlich außer Gefecht setzen. Widerwillig trotzen wir ihm und nennen den Gründonnerstag-Abend Wach mit Bach. Eva Maria Pollerus hält uns mehr als vier Stunden wach im romantischen Kerzenschein des Palais Attems, unter anderem mit den wunderschönen Goldberg-Variationen.
GEZEITEN ZYKLUS
12 Stunden / 720 Minuten / 43.200 Sekunden
Der Gezeitenzyklus. Mond und Sonne lenken ohnegleichen die Natur. Das Werden und Sein und Gehen ist untrennbar mit ihnen verbunden. Nach oben blickt die Erde und richtet sich nach dem, was sie dort sieht und spürt. So lenken Mond und Sonne auch die Bewegungen der Ozeane auf unserem Planeten. Wie Puppenspieler mit unsichtbaren Fäden ziehen und drücken sie die großen Gewässer, je nachdem ob sie ihnen gerade zu- oder abgewandt erscheinen. Ebbe und Flut nennt die Gezeitenkunde die Zeiträume des Ansteigens und des Absinkens. Und das wohl schon seit der griechische Astronom Seleukos von Seleukia im zweiten vorchristlichen Jahrhundert davon berichtet hat. Dennoch sollte es erst Lord Kelvin im Jahr 1872 gelingen, eine erste Gezeitenrechenmaschine für die Themse zu erfinden. Seit den 1970er-Jahren übernehmen natürlich Computerprogramme diese Arbeit und berechnen die Gezeiten für die meisten Küstengebiete auf der Erde. Der Rhythmus ist dabei nahezu derselbe. Zwischen einer Flut und der nächsten liegen in etwa 12 Stunden und 25 Minuten.
Obwohl wir Menschen heute so viel wissen, wissen wir vieles auch nicht. Vermutlich blieb einiges in den dunklen Tiefen der Ozeane bis heute unentdeckt. Große Teile unserer Weltmeere sind noch unerforscht. Ähnlich geht es den Menschen mit dem kosmischen Spiegelbild zu Ebbe und Flut. Das Universum, die Heimat von Mond und Sonne, ist uns mit dem Blick in die Sterne so nah und dennoch unendlich fern. Wir schicken Raumschiffe, Sonden, Satelliten und sogar Astronautinnen und Astronauten ins All. Warum nicht auch Musik?
So soll es sein. XXX – Unser Platz im Universum heißt der Abend im kommenden Psalm-Festival, an dem sich das STUDIO PERCUSSION graz unter der Leitung von Günter Meinhart und gemeinsam mit Sternenforscher Arnold Hanslmeier zu einer rhythmischen Reise in unendliche Weiten aufmacht.
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